Land & Leute in Frankreich
Frankreich war viele Jahrhunderte lang Europas wichtigstes Reiseziel, das Maß aller Dinge, wenn es um Erziehung, Stil, Kultur und auch Benehmen ging. An den europäischen Höfen wurde französisch parliert, wer was auf sich hielt (und das entsprechende Kleingeld hatte), schickte den Nachwuchs mit Anstands-Wauwaus nach Paris, auf das er sich bilden und reifen mochte.
Auch wenn im 19. und 20. Jahrhundert, in den Jahrzehnten des Nationalismus, manch Herrscher und Demagogen Keile in die Gesellschaften des Kontinents zu treiben versuchte, ist das höchstens für eine begrenzte Zeit gelungen – und die Nationen sind sich heute wahrscheinlich näher als jemals zuvor. Das sieht man an der öffentlichen Aufmerksamkeit füreinander und zum Teil sogar in Sympathiewerten für Politiker.
Das hat zur Folge, dass die eigentlichen Unterschiede nur kleine, sympathische Details sind, Eigenarten, manchmal Marotten, die es überall gibt und die eher eine Region beschreiben als ein gesamtes Land.
Es gibt beispielsweise Franzosen, die an Deutschland lieben, dass man hier in aller Öffentlichkeit Rohkost aus Tupperbehältern klauben und mümmeln kann. In manchen Milieus Frankreichs wäre das eine undenkbar stillose Handlung, in der sich aber ein sehr praktischer, vitamin- wie kostenbewusster Geist zeigt.
Viele Frankreichfans schwören auf die lokalen Spezialitäten, die dort viel früher als bei uns als Schätze begriffen und dadurch geschützt wurden. Wer über Märkte französischer Städte geht, findet oft Unmengen an Gemüse, Käse, Kräutern und Fleisch, mit denen sich ganze Landstriche beschreiben lassen.
Das Essen ist ohnehin ein ganz zentrales Motiv vieler Frankreichfans. Wer einmal erlebt hat, mit welchem Zeit- und Kostenaufwand in großer Runde in eine sommerliche Nacht hineingetafelt werden kann, spricht mitunter zu abschätzig über die Grillfleisch-mit-Bier-Pendants östlich des Rheins.
Ein wichtiger Unterschied ist natürlich die in jeder Hinsicht zentrale Bedeutung von Paris. Hier läuft die Macht zusammen, hier laufen die Straßen zusammen, von hier aus gehen viele Impulse aus; und das hat Vor- und Nachteile. In Berlin versucht man inzwischen etwas Ähnliches, scheitert aber an der Lage im Osten, an hanseatischen Gepflogenheiten, rheinischem Frohmut und bayrischem Bier – vielleicht wirkt das auch nur so.
Gleichzeitig gibt es genau das in Frankreich auch. Bretonen und Basken, die Hauptstädter, die sonnenverwöhnten mediterranen Glückskinder und die Sch’tis. Modisch, popkulturell und kulinarisch, auch industriell befruchten sich die Länder seit Jahrzehnten gegenseitig, manchmal kann man den Eindruck bekommen, dass es zu allem ein Gegenstück mit minimaler Abweichung gibt.
Deutschsprachige Rocker kämpfen für eine Quote wie in Frankreich, französische Politiker kämpfen um fügsame Gewerkschafter wie in Deutschland, die deutschen und französischen Autobauer ringen miteinander um Weltmarktanteile und wenn es zum Eurovision Song Contest geht, gönnt man sich die Punkte. Beim Fußball nicht. Und das ist auch gut so.