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Strasbourg oder Straßburg?

Neben Paris ist keine andere französische Stadt in den deutschen Medien so dauerpräsent wie Straßburg (oder Strasbourg). Die Stadt im Elsass ist als Standort wichtiger europäischer Institutionen klug gewählt. Sie steht an der Grenze, am Rhein, ist ein Ort, an dem sich alte Konflikte innerhalb Europas entzündet haben, Konflikte, die brutal ausgetragen wurden und heute als überwunden gelten dürfen. Daher gleicht die Verwendung des Namens auch keiner politischen Positionierung mehr. Straßburg geht in Ordnung.

Die Stadt steht an der Stelle einer alten römischen Militärsiedlung, am gegenüberliegenden Ufer liegt heute die deutsche Stadt Kehl. Das Christentum setzte sich hier ab dem vierten Jahrhundert durch, in der freien Reichs- und überregional bedeutenden Handelsstadt baute man ab Beginn des zweiten Jahrtausends an einer gewaltigen Kirche, die nie ganz vollendet wurde, wie ein einohriger gotischer Hase aussieht, deren großer Turm aber für viele Jahrzehnte das höchte Bauwerk der Menschheit war.

Die Frage, ob nun Straßburg deutsch oder eher französisch sei, entbrannte lange vor den großen Kriegen unserer Zeit unter anderem an der Überlegung, ob die gotische Architektur hier oder dort ihren Ursprung hätte – und damit auch an dem Kirchenbau, an dem Goethe seine Schwindelfreiheit bekämpfte und sich in seinem Text „Von Deutscher Baukunst“ klar (und falsch) positionierte. Die Gotik, so musste man irgendwann feststellen, stammt tatsächlich aus Frankreich und galt fortan als blöd.

Strasbourg

Strasbourg ©iStockphoto/Sjoerd van der Wal

In Straßburg hat sich oft europäische Geschichte abgespielt. Hier gab es Pogrome als Antwort auf die Pest, Johannes Gutenberg wirkte hier, Straßburg war eine frühe Hochburg der Reformation und wurde zu Zeiten Ludwigs XIV. Frankreich zugeschlagen – als dann die Revolution in Frankreich startete und es auch im Osten zahlreiche revolutionäre Bewegungen gab, wurde Straßburg zum Fluchtpunkt verfolgter Revolutionäre.

Die französische Nationalhymne, von Soldaten aus Marseille nach Paris getragen, wurde in Straßburg komponiert und nach deutsch-französischem Krieg 1870/71 und der Gründung des Kaiserreichs wurden die Stadt und ihre Umgebung deutsch. Die Industrialisierung hatte alles, auch die Bauwerke und die Kriegslogik verändert, besonders hier um Straßburg wurden gigantische Befestigungsanlagen gebaut, eingegraben, geschmiedet und gegossen. Zum Teil kann man die heute noch sehen.

Nach dem ersten Weltkrieg holten sich die Franzosen Straßburg wieder zurück und der Zweite Weltkrieg begann für die Stadt mit der kompletten Evakuierung 1940, die Annexion durch das Deutsche Reich folgte. Die Stadt erlitt während der Jahre danach erhebliche Schäden, bereits Ende der 40er Jahre begann dann die Etablierung dieses geschichtsträchtigen Ortes als europäisches Zentrum.

Straßburg hat mindestens zwei Gesichter. Zum einen ist da diese mittelalterliche Schönheit, da sind enge Gassen, an einigen Stellen überraschend viele alte Fachwerkgebäude, das Gerberviertel, das Wasser, das durch die Stadt fließt, die gewaltige Kathedrale (die Grande Île ist offizielles Weltkulturerbe der UNESCO). Zum anderen ist die Stadt unser gemeinsames Zentrum, es gibt hochmoderne Gebäude von Europarat, Europäischem Parlament, dem Gerichtshof für Menschenrechte und weiteren, natürlich auch die phantastische Institution von ARTE, dem französisch-deutschen Sender – und alle warten darauf, besucht und entdeckt zu werden.

Es gibt in Straßburg zahlreiche repräsentative Museen und es gibt eins für Tomi Ungerer, außerdem gibt es in der Stadt den berühmtesten Weihnachtsmarkt Frankreichs.

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